„Welches ist das erste Gebot unter allen?“ war eine Frage eines Schriftgelehrten an Jesus. Jesus antwortete: Dies ist das wichtigste Gebot: »Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist Herr allein; und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft!« (5. Mo. 6,4-5)
Ebenso wichtig ist das andere Gebot: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“ Kein anderes Gebot ist wichtiger als diese beiden. Lese es noch einmal und frage dich selbst: „Wie sieht das bei mir aus?“
Und der Schriftgelehrte sprach zu ihm: „Recht so, Meister! Es ist in Wahrheit so, wie du sagst, dass es nur einen Gott gibt und keinen anderen außer ihm; und ihn zu lieben mit ganzem Herzen und mit ganzem Verständnis und mit ganzer Seele und mit aller Kraft und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer! Und da Jesus sah, dass er verständig geantwortet hatte, sprach er zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes! Und es getraute sich niemand mehr, ihn weiter zu fragen.“
Wir finden bei Jesus selten eine so klare und unmittelbare Antwort auf eine Frage wie diese. Oft holte Jesus sehr weit aus, um eine Frage zu beantworten oder erklärte Dinge anhand von Gleichnissen und Geschichten. Manchmal stellte er auch Gegenfragen. Er zitierte zwei AT- Gebote. Diese beiden sind uns heute als Doppelgebot der Liebe bekannt. Liebe Gott und deinen nächsten, wie dich selbst. Wir sind es gewohnt, Dinge möglichst kurz und prägnant zu formulieren. Je kürzer, desto leichter zu merken. Aber es macht Sinn und es ist wichtig, sich das ganze Gebot genauer anzusehen.
Es beginnt mit den Worten: „Höre Israel“ Das „Schma Jisrael“ gehört zu den wichtigsten Gebeten des Judentums. Es ist ein zentraler Bestandteil der meisten Gebete bei den Juden. Am ehesten vergleichbar mit der Bedeutung des „Vater unser“ bei uns Christen. „Höre, Israel: Der HERR ist unser Gott, der HERR allein!“ (5. Mose 6,4) Diese Alleinstellung Gottes war eine geistliche Feststellung in der Zeit, in der Gott dieses Gebot den Israeliten gegeben hat. Sie waren umgeben von Völkern, die alle möglichen Götter verehrt haben. Ganz besonders in Ägypten.
Den Vers, den Jesus aus dem AT zitiert, ist nicht nur ein Gebot, sondern ein Glaubensbekenntnis. Sozusagen eine Präambel zum eigentlichen Gebot, den alleinigen Gott zu lieben. Dann wird dieses Gebot, wir sollen Gott von ganzen Herzen lieben, sehr konkret. Deshalb empfiehlt uns die Bibel eindringlich, auf unser Herz zu achten und die Lügen, die unser Herz bisher geglaubt hat, durch göttliche Wahrheiten zu ersetzen. Wenn jemand zum Glauben an Jesus kommt, dann sprechen wir ja auch davon, dass Jesus durch den Heiligen Geist in das Herz dieses Menschen einzieht. Das ist nicht nur ein Bild, das ist auch eine geistliche Tatsache. Aber das Herz dieses Menschen bleibt trotzdem in vollem Besitz dieses Menschen. Er allein hat die Verantwortung dafür.
Jesus drängt sich niemals auf. Nicht wenn er vor der Herzenstür steht und anklopft, aber auch nicht, wenn du ihn hereinlässt. Er wird nur die Bereiche deines Herzens mit seiner göttlichen Gegenwart und mit seiner heilenden und seiner lebensverändernden Kraft ausfüllen, die du ihm erlaubst. Und vor allem kann er dich nur in dem Maße ihm ähnlicher machen, wie du diesen Prozess zulässt. Die Bibel sagt zu diesem Prozess Heiligung. Jesus hat bereits alles dafür getan, dass dieser Prozess in dir stattfinden kann. Es ist jetzt deine Verantwortung, ob und wie weit er dein Herz neu füllen darf.
Gott von ganzem Herzen zu lieben, heißt also, dass ich Jesus aktiv dazu einlade und bitte, mein Herz nach Seinen Wünschen und Vorgaben zu gestalten. Wir sollen Gott mit ganzer Hingabe lieben (wörtlich mit ganzer Seele). Hingabe heißt, dass mir nichts anderes wichtiger ist. Dass ich mich zu 100% Seinem Willen unterordne. Wenn ich mich an jemanden hingebe, dann heißt das: Ich will, dass es ihm gut geht. Ich bin bereit alles für sein Bestes zu tun. Ich denke aus der Sicht des anderen und mein Denken führt zu entsprechendem Handeln. Daher sollten wir immer fragen: Herr was willst Du?
In Johannes 15, 13 steht geschrieben: „Niemand liebt mehr als einer, der sein Leben für seine Freunde hingibt.“ Hast du schon mal gesehen, wie zwei Metallstücke oder zwei Rohre verschweißt wurden. Beide Teile werden mit einem Draht und starker Hitze verbunden. Die Hitze ist notwendig, um das Rohr zum Schmelzen zu bringen. Dafür braucht es eine riesig große Menge Energie, die vergleichbar ist mit der Liebe. Mit Hingabe zu lieben bedeutet das Hintenanstellen meiner eigenen Begehrlichkeiten und das Ende meiner eigenen Bequemlichkeit.
Unsere Seele ist zuallererst darum bemüht, dass es uns selbst gut geht. Sie hat, genauso wie unser Körper gewisse Bedürfnisse. (Liebe, Annahme, Vertrauen, Sicherheit, Ruhe, Urlaub und Erholung usw.). So wie wir nicht immer essen müssen, wenn unser Körper das Bedürfnis hat, so ist es auch mit den seelischen Bedürfnissen. Diese müssen nicht ständig befriedigt werden. Menschen, bei denen die Erfüllung der seelischen (und sonstigen) Bedürfnisse stets im Vordergrund stehen, kennen wir als Egoisten. Jeder denkt nur an sich, nur ich denke an mich.
Das Gebot, Gott mit ganzer Seele zu lieben, bedeutet, dass nicht meine Seele, sondern Gott an erster Stelle stehen sollte. Gehorsam gegenüber Gott ist wichtiger als die sofortige Befriedigung meiner seelischen Wünsche und Bedürfnisse. In einer konkreten Situation kann das heißen, nicht so zu handeln, wie ich mich gerade fühle, sondern im Gehorsam das zu tun, was Gott jetzt durch mich tun möchte.
Obwohl Jesus in jeder Hinsicht Gott gleich war, hielt er nicht selbstsüchtig daran fest, wie Gott zu sein. Er wurde wie jeder andere Mensch geboren und war in allem ein Mensch wie wir. Er erniedrigte sich selbst noch tiefer und war Gott gehorsam bis zum Tod, ja, bis zum schrecklichen Tod am Kreuz. Aus Liebe zu Gott und aus Liebe zu uns hat er sich hingegeben. Gottes Hingabe zu uns ist ungebrochen. Aber ohne deine Hingabe an ihn, wirst du dich niemals so stark mit ihm verbinden können, dass du mit Gott eins wirst.
Gott mit ganzem Verstand zu lieben, bedeutet mit deiner ganzen Gesinnung oder mit all deinen Gedanken. Deine ganze Haltung soll nichts anderes widerspiegeln als deine Liebe zu Gott. Wenn wir uns die Bibelstelle im AT, genau lesen (5. Mo 6,5), dann sehen wir, dass dort der Verstand nicht erwähnt wird, sondern nur „von ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deiner Kraft.“ Wir sollen Gott mit aller Kraft lieben. Damit ist nicht unsere Muskelkraft gemeint, sondern dass wir alle uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten darauf konzentrieren sollen, Gott und auch unseren Nächsten zu lieben.
Das Wort, das hier im hebräischen Urtext für „Kraft“ verwendet wird, ist ein Wort, um Dinge zu bekräftigen. Zum Beispiel heißt es in 1.Mo 1,31: „Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“ Es wird u.a. auch mit, groß, gewaltig oder überaus mächtig übersetzt. Gott zu lieben, geht nicht nebenbei oder nur ein bisschen - wenn ich mich danach fühle, dann vergebe ich dieser Person oder wenn ich gut drauf bin, dann bin ich gehorsam. Oder wenn mir am Ende vom Monat Geld übrigbleibt, dann spende ich was. Wenn ich nicht anderes vorhabe, dann gehe ich in den Gottesdienst usw. Liebst du Gott mit all deiner Kraft? Oder mit jener Kraft, die übrig bleibt? Das ist ein riesengroßer Unterschied!
Wenn wir Gott mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele, mit ganzem Verstand und mit aller Kraft lieben, dann führt das zwangsläufig dazu, dass wir auch unseren Nächsten lieben. Allerdings erleben wir es immer wieder, dass Menschen am Sonntag im Gottesdienst die heiligsten und gottesfürchtigsten Personen zu sein scheinen, ihre absolute Hingabe an Jesus betonen und kurze Zeit später über ihre Geschwister herfallen, ihre Ehepartner schlecht behandeln oder einfach boshaft sind. Keiner von uns ist perfekt. Wir alle haben unsere Schwachpunkte und Fehler, über die wir hin und wieder stolpern. Aber wenn jemand behauptet, dass Jesus die Nummer eins in seinem Herzen ist, jedoch keine Frucht in der Form, dass die Liebe Jesu bei seinem Nächsten ankommt, zu sehen ist, dann muss sich diese Person die Frage gefallen lassen, wie ehrlich gemeint die Liebe zu Gott wirklich ist.
„Wenn jemand sagt: »Ich liebe Gott«, aber seinen Bruder hasst, dann ist er ein Lügner; denn wer die Menschen nicht liebt, die er doch sieht, wie kann er da Gott lieben, den er nie gesehen hat?“ (1. Joh. 4,20) Gott ist viel wichtiger wie „heilig“ wir in unseren Familien, Nachbarschaften und am Arbeitsplatz sind, als zu zeigen, wie heilig wir am Sonntag im Gottesdienst sind. In der Liebe zum Nächsten wird die Liebe zu Gott sichtbar und dringt durch in gelebte Realität. Unsere Aufgabe als Gemeinde ist es, den Himmel (das Reich Gottes) auf die Erde zu bringen. Im „Vater unser“ bitten wir: „Dein Reich komme!“ und es kommt dadurch, dass wir Menschen lieben, auch solche Menschen, die uns nicht „liebenswert“ erscheinen.
In Matthäus 5, 46 lesen wir: „Wenn ihr nur die liebt, die euch auch lieben, was ist daran Besonderes? Das tun auch die Heiden. Wenn ihr nur zu euren Freunden freundlich seid, wodurch unterscheidet ihr euch dann von den anderen Menschen? Das tun sogar die, die, Gott nicht kennen.“
Die göttliche Liebe (Agape), die ja in unsere Herzen ausgegossen ist, hat viel mehr mit praktischen Taten und meinem Verhalten zu tun als mit meinen Gefühlen. Der Schriftgelehrte, der mit der Frage nach dem wichtigsten Gebot zu Jesus gekommen ist, hat in dieser Begegnung erkannt: „Recht so, Meister! Es ist in Wahrheit so, wie du sagst, dass es nur einen Gott gibt und keinen anderen außer ihm; und ihn zu lieben mit ganzem Herzen und mit ganzem Verständnis und mit ganzer Seele und mit aller Kraft und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer!“ Wir brauchen keine Tieropfer mehr, um Erlösung zu finden. Christliche Anweisungen wie Bibel lesen, beten, fasten, geben, in den Gottesdienst gehen sind zwar gut und wichtig, aber diese „Opfer“ können niemals die Liebe zu Gott, die Hingabe an IHN und die daraus resultierende Liebe zum Nächsten ersetzen. Es sind vielmehr Werkzeuge, um Gottes Haus (sein Reich) zu bauen.
Jesus sagt an andere Stelle wer mich liebt der hält meine Gebote. Die Frage, die du nur dir selbst beantworten kannst, was ist dir wichtiger als Jesus? Wie glücklich können wir uns schätzen, wenn wir dieses wichtige Doppelgebot der Liebe nicht nur mit dem Verstand bejahen, sondern es mit ganzem Herzen umsetzen. Wenn Gott dadurch geehrt wird, dass unsere Familienmitglieder, unsere Nachbarn, Arbeitskollegen und Freunde diese Liebe Gottes durch uns ganz praktisch erfahren. Wenn alle diese Menschen, die Gott noch nicht so kennen, wie er wirklich ist, IHN näher kennenlernen wollen, weil sie einen Vorgeschmack seiner Liebe gekostet haben. Einfach nur dadurch, weil wir Gott lieben und deshalb unseren Nächsten genauso lieben wie uns selbst. Dann nimmt das Reich der Himmel, das Jesus immer wieder gepredigt hat, unter uns mehr und mehr konkrete Gestalt an.
Und dieser Fluss der Liebe wird nicht nur unsere Familien und Gemeinschaften verändern, sondern unsere ganze Gesellschaft fröhlicher und liebevoller machen. Das Reich Gottes führt immer dazu, dass am Ende alle Beteiligten Gewinner sind. Deshalb ist dieses Doppelgebot der Liebe das wichtigste. Amen.
Helmut Germann
01.06.2025